Energierücklaufzeit und Erntefaktor bei Windkraftanlagen

Die Wahrheit ist ein seltenes Gut geworden in Zeiten wie diesen. Immer wieder behauptete Unwahrheiten werden nicht zu Wahrheiten, sondern – was schlimmer ist – zu Gewohnheiten.

Dieser und der folgende Spruch stammen von Oliver Hassencamp.

Aus Lügen die wir glauben, werden Wahrheiten mit denen wir leben. Also dann mal los, so geben wir der Wahrheit die Ehre.

Die Wirtschaftsvereinigung Stahl gibt in ihren Fakten zur Stahlindustrie 2022 für warmgewalzte Produkte und Halbzeug-Lieferungen einen spezifischen Primärenergieverbrauch von 19,3 Gigajoule pro Tonne an, wie der Seite 22 des oben verlinkten PDF-Dokuments zu entnehmen ist:

 

 

Es sei noch erwähnt, dass bei den genannten 19,3 Gigajoule pro Tonne das Stahl-Recycling bereits berücksichtigt wurde. Rund die Hälfte des produzierten Stahls wird aus Altmetall gewonnen (siehe Seite 34 und 35 in dem verlinkten Dokument).

Und diese kleine Erläuterung sei noch gestattet: Leistung (Watt) ist Energie (Joule) pro Zeiteinheit, P = W/t, in Worten:  Watt = Joule pro Sekunde. Oder eben anders herum:

Energie ist Leistung mal Zeit: W = P*t bzw. Joule = Watt mal Sekunde, 1 Joule = 1 Wattsekunde.

Eine Wattstunde sind dann 3 600 Joule oder eine Kilowattstunde (kWh) entsprechend 3,6 Millionen Joule. Die 19,3 Milliarden Joule pro Tonne Stahl werden somit durch 3,6 Millionen geteilt, um die viel gängigere Einheit Kilowattstunden zu erhalten. Für die Produktion von Stahl werden also umgerechnet 5 361 kWh je Tonne benötigt. Das ist mehr, als ein 4-köpfiger Durchschnitts-Haushalt im Jahr an elektrischer Energie bezieht.

Windenergieanlagen haben aktuell (die Daten sind von 2022) in Deutschland im Schnitt eine Nabenhöhe von 138 Metern und einen Rotordurchmesser von 137 Metern.

Aktuelle onshore-Windkraftanlagen weisen eine Gesamtmasse von etwa 7 000 Tonnen auf. Darin enthalten sind ca. 3 000 Tonnen Stahl für den Turm und für die Armierung im Betonfundament. Diese Angaben sollen für eine erste Schätzung des Energiebedarfs vorläufig genügen.

3 000 Tonnen Stahl mal 5 361 kWh/Tonne ergeben 16 083 000 kWh Energiebedarf.

Beträgt die Nennleistung einer solchen Anlage 3 Megawatt (= 3 000 Kilowatt) und berücksichtigt man, dass im Jahre 2022 die Windkraft in Deutschland im Schnitt auf etwa 20% Vollaststunden kam, so ergibt das die folgende Jahresernte:

20% von 8 760 Stunden ergeben 1 752 Stunden; mal 3 000 kW sind 5 256 000 kWh.

16 083 000 kWh Energiebedarf geteilt durch 5 256 000 kWh Jahresernte ergeben etwas mehr als 3 Jahre Energierücklaufzeit nur (!) für den Stahl für den Turm und das Fundament.

Die noch verbleibenden 4 000 Tonnen wurden noch nicht berücksichtigt. Es kommen noch größere Mengen Zement (auch sehr energieintensiv), die Rotorblätter, das gesamte Maschinenhaus mit mehr als 100 Tonnen weiteren Metallen sowie seltenen Erden und Elektronik dazu, ebenso der Auf- und Abbau der Anlage vor Ort, sodass die Energierücklaufzeit in Summe ca. 4 Jahre betragen dürfte und bei einer Betriebsdauer von 20 Jahren mit einem Erntefaktor von vielleicht 5 zu rechnen ist.

Im Wikipedia-Artikel über Windkraftanlagen – und nicht nur dort – wird von einer Energierücklaufzeit von 3 bis 7 Monaten (!) gesprochen und dementsprechend von Erntefaktoren von bis zu 70 …

Das macht sprachlos!

Dass sich eine Windenergieanlage energetisch innerhalb weniger Monate amortisiert, wird quasi überall behauptet, eine davon abweichende Aussage ist kaum zu finden. Ich selbst hatte vor einigen Jahren einen Flyer im Briefkasten, wo neben vielen weiteren Falschbehauptungen auch diese viel zu kurze Energierücklaufzeit von wenigen Monaten angegeben wird.

Die Tatsache, dass diese Behauptungen in Wikipedia mit zahlreichen „Quellen“ unterlegt werden und dass es mit einfachen Recherchen kaum möglich ist, selbst einfachste Grunddaten wie die Masse vom Turm oder vom Fundament zu ermitteln, legen die Vermutung nahe, dass hier ganz bewusst „geschönt“ wird, um die wahre Gestehungsenergie einer Windkraftanlage gezielt zu verschleiern oder deren Ermittlung zumindest zu erschweren.

Eine Unwahrheit in dieser Größenordnung, noch dazu ganz offensichtlich gut durchorganisiert, machte mich einfach sprachlos. Damit ist jetzt aber Schluss: nach mehreren Jahren des Wartens und Schweigens habe ich mich entschlossen, diese Erkenntnis zu veröffentlichen, wohl wissend, dass ich mir damit Nachteile einhandeln könnte. In einem Land mit deutlich mehr als einer Million Ingenieure und Naturwissenschaftler sollten solch einfache Zusammenhänge sehr leicht erfasst und verifiziert werden können.

Bei einem Erntefaktor von 70 müssten die Investoren doch Schlange stehen – oder nicht? Ein Erntefaktor von 70 käme ja einer Gelddruckmaschine gleich: 1 Million Investment wirft in 20 Jahren vielleicht 65 Millionen oder mehr ab (der Rest ist für Wartung, Verwaltung, Versicherung, Rückbau etc.). Ein Traum – nicht wahr? [Mir ist die Unschärfe dieser Aussage durchaus bewusst: der monetäre und der energetische Erntefaktor müssen nicht 1 zu 1 korrelieren, ich lasse diese Aussage trotzdem hier stehen, weil sie die Absurdität der Behauptungen aufzeigt.]

Im Süden Deutschlands ist die Windkraft jedoch nur durch Mehrfachsubventionen (!) „wirtschaftlich“ machbar. Wozu sind die Mehrfachsubventionen bei einem Erntefaktor von 70 eigentlich noch gut?

Die Frage, warum die Windenergie mit so vielen Falschaussagen belastet wird, obwohl sie grundsätzlich ja funktioniert, muss sich jeder selbst beantworten.

Werter Leser, wenn in den dargestellten Überlegungen oder Rechnungen etwas falsch sein sollte, freue ich mich über einen entsprechenden Hinweis von Ihnen!